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Kiefer Fichte Zweig 6

10. Advent

~ Tooth Fairy, where are you? ~

Für diese Geschichte sind fünf Informationen wichtig.

 

    Erstens. Aurelia Charles ist als Kind nie besonders ängstlich gewesen. Nicht kopflos dumm, nicht konfrontativ gegenüber Menschen, die irgendeine Art der Autorität für sie darstellen sollten, aber wenn eine Spinne im Zimmer war, dann trug sie sie mit Papier und Zahnputzbecher nach draußen, als in der Grundschule Jason Gordon Mary-Lees Schulrucksack ins Jungenklo geschmissen hatte, hatte Aurie mit den Schultern gezuckt und war ihn zu allgemeinem Entsetzen holen gegangen, als sie beim Versuch, Tee zu kochen, Wasser über das Lieblingsbuch ihrer Schwester geschüttet hatte, hatte sie es ihr ohne zu zögern erzählt und als das Gerücht umging, ihr Sportlehrer sei ein Vampir, war sie es gewesen, die ihn darauf angesprochen hat – wobei letzteres vielleicht nicht unbedingt als Akt des Mutes angesehen werden kann, denn schließlich hatte Aurie sich im Vorhinein bei ihrer magischen Familie erkundigt, wie echte Vampire aussahen. Aber einmal, einmal hatte Aurie riesige, panische, himmelschreiende Angst gehabt.

    Zweitens. Aurelia Charles hat ihren ersten Milchzahn mit sechs Jahren verloren.

    Drittens. Aurelia Charles war überglücklich, als sie am Morgen aufwachte und ihren Zahn noch unter dem Kopfkissen fand.

    Viertens. In dieser Geschichte wird erklärt, warum das so ist.

    Fünftens: Diese Geschichte beginnt im Juni 2003.

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    Aurie war an diesem Tag früh aufgestanden, war in die Kinderbetreuung gebracht worden, hatte dort die Hälfte der Zeit an dem kleinen Webrahmen verbracht, der bereits zu gut einem Drittel mit Wolle in den verschiedensten Farben gefüllt war, und der Rest der Zeit war von Abneigung gegen Rechenschieber, einer misslungenen Streitschlichtung über ein Puppenkleid und der Produktion von sage und schreibe drei mit Buntstift gezeichneten Bildern – alle ohne Arme, weil Aurie damals noch keine Hände hat zeichnen können – erfüllt gewesen. Und einmal war wie durch Zauberhand ein neues Wollknäuel in der Kiste mit Garn erschienen, aber das war nur Aurie selbst aufgefallen, die sich über die neue Farbe gefreut hatte.

    Am Nachmittag wurde sie vom Kindergarten abgeholt und verbrachte den Großteil des restlichen Tages in ihrem Zimmer, wo sie weitere handlose Kunstwerke produzierte, in einem Bilderbuch blätterte und sich langweilte.

    Gegen Abend überredete sie ihre Schwester, sich mit ihr einen Film anzusehen. Ren setzte sich mit ihr auf die Couch, schaltete den Fernseher ein und war augenscheinlich sowohl fertig mit dem Tag als auch jeder Art von Geräusch, weshalb sie von dem mit hohen Stimmen synchronisiertem Zeichentrickfilm nicht erfreut war.

    Bei Aurie sah das ganz anders aus: ›Tooth Fairy, Where Are You?‹ war in ihren Augen ein wunderbarer Film. Es ging um Freundschaft, um Akzeptanz, es gab ein Happy End. Es war im Grunde

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