
20. Advent
~ Countdown ~
Aidene Granville war alles andere als begeistert, in einem der entlegensten Flügel des Schlosses vor einer reichlich unspektakulären Tür zu stehen. Zwar war es nicht unbedingt so, als hätte sie besseres zu tun, aber sie hätte etwas besseres zu tun haben können.
Es war wie mit Hausaufgaben – auch wenn man eine Woche Zeit hatte, um sie zu erledigen, tat man es in der Regel am späten Vorabend der Abgabe, egal, ob die Woche Zeit zur freien Verfügung oder verplant gewesen war.
Außerdem ging es ja auch irgendwie ums Prinzip – ob Aidene ihre Zeit jetzt damit verschwendete, sich mit Joan über ihre Stiefmutter aufzuregen, über die man sich ja auch gut und gerne ohne Punkt und Komma beschweren konnte, die Frau war komisch, oder einer Nachricht von Unbekannt folgte, die auf ein kleines, grell buntes Papierstück geschrieben war, das einen völlig unwirksamen Klebestreifen am oberen Rand hatte, war doch ein Unterschied.
Eigentlich hatte Aidene also einen riesigen Haufen an Gründen, warum sie nicht vor dieser Tür stehen sollte, aber trotzdem stand sie vor der schlichten Holztür und hob die Hand zum Klopfen.
Warum genau tat sie das hier noch einmal?
›Du klopfssst jetzzzt‹, flüsterte eine geisterhafte Stimme durch die Gänge. ›Und zzwar jetztt. Dasss issst ess, wasss du willssst Aidene, tu essssss. Jetzzzt!‹
Weil geisterhafte Stimmen in den Gängen eine zuverlässige und kein bisschen zwielichtige Informationsquelle waren, klopfte Aidene an die Tür.
»Komm rein!«, rief es aus dem Inneren.
Nachdem Aidene ihre inneren Widerstände niedergekämpft hatte – oder eine mystische, nicht im geringsten verdächtige Macht das für sie erledigt hatte –, öffnete sie die Tür und trat in einen Raum, der gemessen an der hohen Qualität der Inneneinrichtung, den alten, verschnörkelten Möbeln und dem Kronleuchter an der Decke auch einer der kleineren Zimmer bei ihr Zuhause sein könnte.
Zentrum des Raums war ein eher kleiner, quadratischer Tisch, auf dessen weißer Decke sich feines Porzellan um eine mit feinen Pinselstrichen geblümte Teekanne versammelte.
Das vielleicht auffälligste Detail im Raum fiel ihr erst verhältnismäßig spät ins Auge: ein Mädchen, das am Tisch saß. Das an sich wäre vielleicht weniger auffällig gewesen, wenn das Mädchen nicht im kompletten Gegensatz zu der Einrichtung in Jogginghose und übergroßem T-Shirt gekleidet war.
Ihr Haar war … Aidene verspürte körperlichen Widerstand dagegen, die Frisur als ›Dutt‹ zu bezeichnen, auch wenn sie nicht wusste, welche Bezeichnung gepasst hätte. Aber Dutts waren ordentlich und elegant und kein mit einem Haargummi auf dem Kopf fixierter Pferdeschwanz.
»Einen schönen guten Abend, meine liebe Aidene«, begrüßte das Mädchen sie und für einen Moment war Aidene von dem Gefühl erfüllt, sie zu kennen. Dann war das Gefühl verschwunden und sie wusste wieder, dass sie das Mädchen noch nie gesehen hatte.
»Guten Abend«, sagte sie, weil sie eine gute Kinderstube genossen hatte und ›Warum hast du mich her zitiert?‹ nicht an die erste Stelle in einem Gespräch gehörte. »Warum hast du mich her zitiert?« Offensichtlich gehörte es nämlich an die zweite.
»Da kommt ja wer gleich zur Sache.« Das Mädchen saß ausgesprochen krumm, merkte Aidene, und